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Die Wegwarte ist eine gute Freundin

26. September 2022


INTERVIEW // Das Prämonstratenser Chorherrenstift Geras im Waldviertel ist auch ein Ort für Veranstaltungen, Seminare und Konzerte. Berühmt ist dieses Stift aber vor allem für seinen Kräutergarten und für seine Tradition der Kräuterpfarrer. Wir trafen Pfarrer Benedikt Felsinger, der das Werk des legendären Kräuterpfarrers Weidinger fortführt, zum Gespräch.


Wie wird man eigentlich Kräuterpfarrer?

In meinem Fall war es so, dass ich das Erbe von Hermann Josef Weidinger angetreten habe. Der hatte sich intensiv für die Anliegen eines in den 1970er Jahren gegründeten Karlsteiner Vereins „Freunde der Heilkräuter“ eingebracht. Er hat sich in diese Arbeit ordentlich reingehängt und viel aufgebaut. Als ich ins Stift eingetreten bin, hat er mein Interesse für die Natur erkannt und mich gezielt gefördert.

Wie sieht der Arbeitsalltag eines Kräuterpfarrers aus?

Das ist eigentlich ein ganz normaler Kloster- und Seelsorgealltag. Aber hinzu kommt halt die Beschäftigung mit Heilkräutern: die Öffentlichkeitsarbeit, der Erhalt des Wissens und die Führung unseres Betriebes in Karlstein mit 13 Angestellten. Natürlich halte ich viele Vorträge in ganz Österreich. Fad wird mir nicht. (lacht)

Stift Geras ist ein Prämonstratenser-Stift. Was ist das Besondere an diesem Orden?

Unser Orden wurde im 12. Jahrhundert gegründet. Die Novität damals war, dass die Chorherren hinausgingen in die Pfarren. Aus dieser Öffnung ergab sich eine starke Vernetzung mit der Bevölkerung. Wir sind ein alter Orden, wir sind ein Ort der Stabilität und in unserem Glauben getragen von dem Wissen der Auferstehung. Sichtbares Zeichen dafür ist unser weißes Ordenskleid. Das unterscheidet uns rein äußerlich von anderen Ordensgemeinschaften.

Sie haben den Namen Benedikt angenommen und sind doch kein Benediktiner…

Nein, ich bin eine „Eigenproduktion“. (lacht) – Ich komme aus der Stiftspfarre Drosendorf. Den Namen vergibt ja der Ordensobere. Und auch

weil wir sehr gut mit unserem Nachbarstift Altenburg vernetzt sind erhielt ich den Namen Benedikt.

Was können Sie uns zur historischen Entwicklung der Klöster und Klostergärten sagen?

Das Paradebeispiel dafür finden Sie auf mittelalterlichen Klosterplänen zum Stift St. Gallen aus dem neunten Jahrhundert. Da ist schon alles da: Gemüse- und Obstgärten, die übrigens mit dem Friedhof kombiniert sind und natürlich der Kräutergarten. Auf den legen wir in Geras ganz besonderen Wert. Da knüpfen wir an eine lange medizinische Tradition an, denn die Heilkunde geht ganz klar mit der Entwicklung der Klöster einher. Im Kräutergarten wächst was man braucht, um die Menschen in ihrem Leiden zu begleiten und sie bei der Genesung zu unterstützen. In der Barockzeit kam dann der Aspekt des Repräsentierens dazu. Man war selbst Herrschaft und stellte das zur Schau. Damals wollte man auch besonders exotische Pflanzen etablieren. Pflanzen, die heute zum Teil nichts Außergewöhnliches mehr sind.

 

Früher hatte der Garten vorwiegend eine wirtschaftliche Funktion zu erfüllen. Da gab es eine deutliche Werteverschiebung hin zu einem Ort der Ruhe und Kontemplation.

Aber das war er früher auch schon! Wir nehmen heute soviel als selbstverständlich an, das nie selbstverständlich war und es eigentlich auch heute noch nicht ist. Aber wir schätzen es nicht. Wir haben die tollsten Gärten und fliegen tausende Kilometer in den Urlaub. Früher verbrachte man seine freie Zeit im Garten und gestaltete sich die Umgebung entsprechend. Heute fliegen wir von den schönsten Gärten weg. Wir sind wirklich nicht ganz bei Trost. Auch den unendlichen Wasserverbrauch bei den vielen Pools, den kann ich nicht verstehen. Wir haben so viele Teiche und Seen!

Welche Bedeutung hat in dieser Zeit der Stiftsgarten?

Natürlich verfolgt der auch einen touristischen Aspekt. Wir wollen, dass sich die Besucher bei uns wohlfühlen und die Schönheit bestaunen können. Denn das ist auch ein Heilmittel. Bevor wir die Kräuter ernten profitieren wir schon von ihrer Schönheit. Aber das wird oft übersehen und nicht beachtet. Entsprechend gibt es bei uns in Geras auch viele Zonen, Orte der Ruhe, Plätze der Entspannung. Und dann versuchen wir auch das traditionelle Zusammenspiel von Architektur und Gartengestaltung fortzuführen. Um aber diese Schönheit zu sehen, um das Wunder einer Pflanze zu erkennen, da muss ich mein Knie beugen und mich auf die Höhe der Pflanze begeben, demütig sein und anerkennen: okay, da ist etwas, das klein scheint, aber größer ist, ein Wunder der Natur. Das wird die fortgeschrittenste Wissenschaft nicht schaffen können: einen ganzen Grashalm erzeugen, ein Kinderherz zum Schlagen bringen… das bleibt ein Geheimnis. Wie aus ein und demselben Bausatz, den Grundelementen des Lebens, alles geschaffen wurde, das ist ein Geheimnis. Das darf ich erkennen und darin das Geschenk sehen, dass ich sein darf.

Haben Sie einen Lieblingsplatz im Garten?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin einfach nur gerne in der Natur. Nicht nur im Garten, sondern auch in der wilden Natur und dort auf der Suche nach Wildkräutern. Außerdem bin ich ein leidenschaftlicher Vogelbeobachter, ein Ornithologe, und staune über die Vögel, die es bei uns gibt. Da sieht man ganz bemerkenswerte Tiere. Hier in der Gegend kreisen oft Seeadler und im Schilf fliegen Zwergdommeln, Reiher ziehen durch und bei mir im Pfarrhofgarten hab ich 14 Gänse, die den Garten bewachen.

An welches Gartenerlebnis denken Sie besonders gerne zurück?

Das ist jetzt ein sehr persönliches Erlebnis, das ich Ihnen erzähle. Das war bei einer Führung, ich hab mich hinuntergekniet zu einem Stiefmütterchen und hab das bestaunt. Und während ich wieder aufstehe, merke ich eine kaum in Worten beschreibbare Sogwirkung, so als wollte mich dieses Stiefmütterchen vom Aufstehen und Weggehen abhalten. Das können Sie jetzt als psychische Krankheit einordnen. Das ist mir egal. Ich weiß nur, dass ich eine Verbundenheit erlebt habe und immer wieder erlebe. Aber dafür muss man zur Ruhe kommen, betrachten, spüren und hinhören. Dann kann eine Interaktion mit den lebendigen Pflanzen stattfinden.

Gibt es eine Pflanze, der Sie sich besonders verbunden fühlen?

Die Wegwarte ist eine gute Freundin. Ich war früher viel mit dem Auto unterwegs. Und bei diesen oft sehr langen Fahrten hab ich die Wegwarte nie aus den Augen verloren. Die wächst auch am Bankett, sie wächst ganz nah an den Asphalt heran. Das ist eine Pflanze, die sich an die Mobilität des Menschen am weitesten heranwagt und überall in Österreich und Deutschland zu finden ist. Darum ist sie eine ganz wunderbare Begleiterin in meinem Leben geworden.

Danke, dass Sie uns ein wenig Einblick in Ihr Leben als Kräuterpfarrer gewährt haben. Vielen Dank für das Gespräch.