Grenzgänger in der Kampfzone

Grenzgänger in der Kampfzone
25. Juli 2022

Trockenmauern und Stufen sind Extremstandorte für Pflanzen und dementsprechend schwierig zu begrünen.


Trockenmauern und Stufen sind Extremstandorte für Pflanzen und dementsprechend schwierig zu begrünen. Aber auch für solche Standorte gibt es Pflanzenarten, die den widrigen Bedingungen und Belastungen trotzen und sich in dieser ökologischen Nische gut entwickeln. Ein guter Ausgangspunkt für die Suche nach geeigneten Arten sind die natürlichen Pflanzengesellschaften. Da viele Arten langsam wachsen sind eine sorgfältige Ausführung sowie etwas Geduld erforderlich.

Text: Dr Philipp Schönfeld Fotos: Dr Philipp Schönfeld, istock.com

Mauern, Stufen und Pflasterflächen stellen wichtige Elemente in Freianlagen dar. Aber auch wenn sie perfekt geplant und fachgerecht ausgeführt sind, benötigen diese Elemente pflanzliche Begleiter und Partner, die sie in die Gesamtanlage einbinden. Die schwierigen Standortbedingungen in Fugen und Ritzen lassen sich allerdings nur mit Arten begrünen, die entsprechend widerstandsfähig und genügsam sind. Dass es gelingen kann, zeigen viele erfolgreiche Beispiele in der Praxis.

Trockenmauern

Trockenmauern in ihren vielfältigen Formen sind seit Jahrhunderten ein prägendes Element der europäischen Kulturlandschaft. Besonders eng verbunden ist die Geschichte des Trockenmauerbaus mit dem Weinbau. Aber auch beispielsweise in der Schweiz oder in Südtirol gibt es aufgrund der topographischen Gegebenheiten sowie der reichlich vorhandenen Natursteinvorkommen eine langjährige Tradition in der Kunst des Trockenmauerbaus. Bei allen regionalen Unterschieden in Bezug auf Material und Bauweisen stimmen Natursteinmauern jedoch auch in vielen Merkmalen und Eigenschaften überein.

Der Aufbau ohne Mörtel schafft nicht nur eine Hangabstützung, sondern die Fugen in den Mauerflanken sowie der Krone bieten auch einen Lebensraum für teilweise selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Ohne Initialpflanzung dauert die Entwicklung der typischen Mauerfugen-Vegetation Jahrzehnte. Als Pioniere bereiten Flechten und Moose die Standorte vor. Ihnen folgen dann die höheren Pflanzen, die allerdings nicht an glatten Flächen wachsen können, sondern auf Fugen angewiesen sind. An schattigen Stellen sind das vor allem Farne, Asplenium ruta-muraria, A. trichomanes sowie A. ceterach. Neben diesen Farnarten findet sich häufig noch Cymbalaria muralis (Zimbelkraut), das die Mauer mit einem zarten Schleier überzieht.

Die Arten stammen zum größten Teil aus der Vegetationseinheit „Steinfluren und alpine Rasen“ (Ellenberg, 1996):

  • Wärmeliebende Mauerkraut-Gesellschaft: Centhranthus ruber, Cymbalaria muralis, Erysimum cheiri, u.a. verwilderte Gartenpflanzen
  • Felsspalten- und Mauerfugen-Gesellschaft: Asplenium septentrionale, Ceterach officinarum, Hieracium amplexicaule, Polypodium interjektum, Sedum dasyphyllum
  • Kalk-Felsspalten- und Mauer-Gesellschaft: Androsace lactea, Asplenium fontanum, Asplenium ruta-muraria, Daphne alpina, Poa glauca, Rhamnus pumila, Saxifraga paniculata
  • Silikat- und Serpentin-Felsspalten-Gesellschaft: Androsace vandellii, Asplenium adiantum-nigrum, Primula hirsuta, Saxifraga cotyledon, Woodsia alpina, Woodsia ilvensis.

Die hier beispielhaft genannten Arten sind an ihren Naturstandorten hohen Strahlungen, Frost und Wind ungeschützt ausgesetzt. Um unter diesen extremen Bedingungen überleben zu können, haben sie vielerlei Anpassungsstrategien entwickelt, z. B. polsterförmiger Wuchs, Sukkulenz oder Rosetten. Da die Bedingungen am Naturstandort über Jahrzehnte stabil bleiben, sind auch diese Pflanzengesellschaften sehr stabil. An „guten“ Standorten sind sie konkurrenzschwach und werden schnell von anderen, schneller wachsenden Arten, verdrängt. Auf Grund des langsamen Wachstums dauert die Besiedlung neuer Standorte entsprechend lange. Das sollte bedacht werden, bevor Mauern mit etabliertem Bewuchs saniert werden. Mauerbiotope sind oft gekennzeichnet durch seltene Arten der Roten Liste und deshalb schützenswert. Eine Abstimmung und Genehmigung mit der zuständigen Naturschutzbehörde vor Beginn der Sanierungsarbeiten ist zwingend erforderlich.

Eine Überleitung bilden in tieferen Lagen die dealpinen Gesellschaften (z. B. Blaugrashalden, Sesleria albicans), Trockenrasen sowie Gebüsche und Trockenwälder. Typische Gehölze, die sich in tieferen Spalten ansiedeln, wären z. B. Amelanchier ovalis, Cotoneaster integerrimus oder C. tomentosum (Vegetationseinheit „Wärmeliebende Berberitzengebüsche“).

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass Trockenmauern auch einen wichtigen Lebensraum für Tiere darstellen, insbesondere für Insekten und Kriechtiere.

Eine Bepflanzung bei Trockenmauern findet grundsätzlich nur in den Stoßfugen statt. Die Lagerfugen dürfen nicht bepflanzt werden, weil dadurch die Stabilität der Mauer gefährdet wäre. Fugenbepflanzungen sollen nicht flächendeckend sein und die ganze Ansichtsfläche der Mauer verdecken, sondern Pflanzen sollen nur punktuell eingesetzt werden. Eine zu dichte Bepflanzung würde auch wieder die Stabilität gefährden. Etwa drei bis vier Pflanzen je Quadratmeter Ansichtsfläche sind völlig ausreichend.

Am leichtesten lässt sich die Bepflanzung während des Mauerbaus durchführen. Wesentlich schwieriger und aufwändiger ist die Bepflanzung der Fugen von bereits bestehenden Mauern. Zur Ausbildung einer zu bepflanzenden Fuge werden die zwei nebeneinander liegenden Steine an der Schmalseite abgeschrägt. So entsteht eine V-förmige Fuge, die für das Substrat und die Wurzeln deutlich mehr Platz bietet als eine lediglich etwas aufgeweitete Stoßfuge. Bei dickeren Mauern, die aus mehr als einer Schicht bestehen, muss die Fuge bis zur Hinterfüllung an der Rückseite der Mauer durchgehen. So ist die Pflanze mit ihren Wurzeln nicht auf den Fugenraum begrenzt, sondern kann sich bis in die Hinterfüllung ausdehnen. Dieses Verfahren macht aber nur bei niedrigen Mauern Sinn, die an der Rückseite keine Drainageschicht benötigen. Die Pflanze wird dann so eingelegt, dass der Wurzelhals 8 – 10 cm hinter der Mauerfront liegt. Somit ist die Pflanze vor einer zu schnellen Austrocknung geschützt und kann im Winter bei Frost nicht herausgedrückt werden. Zum Einfüllen sollte ein nährstoffarmes Substrat verwendet werden, das einerseits locker und durchlässig ist, andererseits aber auch eine gute Wasserkapazität aufweist.

Substratmischung für Fugenpflanzen, eng an den Stein gebunden, pH-neutral (Schwarz, 1988)

  • Ungedüngte, sandige Rasenerde
  • Sand oder Kiessand 0/8
  • Lehm oder Mergel
  • Weiß- und Schwarztorf (feucht)

Die Mischung sollte zu gleichen Teilen erfolgen!

Durch entsprechende Zuschläge lässt sich das Substrat in Bezug auf den pH-Wert an die Ansprüche der verwendeten Arten anpassen. Nach dem Andrücken wird die Pflanze vor dem Weiterbauen sofort angegossen. Ein späteres Gießen, wenn schon weitere Steinlagen aufgebracht worden sind, ist sehr schwierig. Im weiteren Verlauf des Mauerbaus muss darauf geachtet werden, dass die bereits eingebrachten Pflanzen weder austrocknen noch durch die Bauarbeiten beschädigt werden.

Günstigere Bedingungen für die Pflanzen lassen sich in einer frei stehenden Trockenmauer schaffen. In der Mitte zwischen den beiden Mauern wird lagenweise Boden eingefüllt und leicht verdichtet. Für die Bepflanzung ist es am günstigsten, wenn die Oberfläche nicht mit Platten abdeckt wird, sondern offen bleiben kann, mit einer leichten Ausmuldung der Erdoberfläche. In Trockenperioden kann so leichter gewässert werden. Aber auch bei einer Abdeckung mit Platten, größeren Steinen oder einer Rollschicht ist eine Bepflanzung möglich.

In Abhängigkeit von der Ausrichtung der Mauer gibt es unterschiedlich besonnte Seiten, was bei der Pflanzenauswahl berücksichtigt werden muss. Besonders groß sind diese Unterschiede, wenn die Mauer in West-Ost-Richtung verläuft.

Die Auswahl an Pflanzenarten zur Bepflanzung von Fugen ist groß. In Hinsicht auf die Verwendung lassen sie sich in drei Gruppen einteilen (nach Hansen/Stahl):

  • Anspruchslose Arten und deren Sorten mit auffälliger Blüte und üppigem Wuchs, Herkunft meist mediterran (Tabelle 1).
  • Arten für naturnahe Steinanlagen mit unterschiedlichen Standortansprüchen (Tabelle 2 und 3)
  • Anspruchsvolle Arten mit hohen Standortansprüchen, Liebhabersortiment

Die Arten der drei genannten Gruppen sollten in der Verwendung nicht miteinander gemischt werden. Das betrifft nicht nur die verschiedenen Standortansprüche, sondern vor allem die unterschiedliche Gestalt der Arten in diesen Gruppen. Die auffällig blühenden Aubrieta-Hybriden (Blaukissen) beispielsweise passen gestalterisch schlecht zu einer so zarten und empfindlichen Art wie etwa Scutellaria alpina (Alpen-Helmkraut).

Stufen

Auch Stufen und Treppenanlagen lassen sich durch eine intelligente Bepflanzung gut in die Gesamtanlage einbinden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Begrünung der Treppenstufen an sich sowie der Einbindung der Stufenköpfe und Treppenwangen.

Stufen und Treppenanlagen eignen sich im Grunde denkbar schlecht für eine Begrünung. Insbesondere Block- und Legstufen bieten praktisch keinen Raum für eine Bepflanzung. Hinzu kommt, dass Stauden und Kleingehölze die Verkehrssicherheit der Treppenanlage gefährden können. Für eine Begrünung geeignet sind allenfalls Treppenanlagen aus Stellstufen mit gepflasterter Auftrittsfläche oder unregelmäßige Treppen aus grob zugerichteten Natursteinblöcken, die am besten trocken aufgesetzt werden. Bei dieser Bauweise entstehen zwangsläufig entsprechende Fugen, die mit passenden Arten bepflanzt werden können. Da solche Treppen auf Grund ihrer Unregelmäßigkeit beim Begehen erhöhte Aufmerksamkeit erfordern, stört eine meist Bepflanzung, die natürlich nicht zu üppig werden darf, nur wenig. Es eignen sich dafür die gleichen Arten, die auch für Pflasterfugen passend sind.

Gestalterisch überzeugend wirken Treppenanlagen erst dann, wenn sie mit Hilfe einer entsprechenden Bodenmodellierung sowie begleitender Vegetation in die jeweilige Umgebung eingebunden werden. Rasen eignet sich dafür nur schlecht. Die Gräser in unmittelbarer Nähe der Stufen sterben infolge von Trockenheit oft ab und das Mähen ist erschwert. (Klein)gehölze sowie Stauden sind viel besser dafür geeignet. Diese haben die Aufgabe, sowohl die harten Kanten der Treppe optisch aufzulockern, als auch den Boden vor Erosion zu schützen. Diese Auflockerung fällt vor allem dann schwer, wenn es sich um einen Treppenlauf mit seitlichen Wangen aus Beton oder Mauerwerk handelt. Das gelingt besser, wenn die Blockstufen gegeneinander verschoben werden. Die Stufenköpfe bilden dann keine gerade Linie mehr, sondern oszillieren nach rechts und links. Diese Bauweise erleichtert nicht nur die treppenbegleitende Bodenmodellierung, auch die begleitende Pflanzung verbindet sich schneller und harmonischer mit der Treppe.

Für diese Pflanzung eignen sich insbesondere winter- und immergrüne Bodendeckergehölze sowie -stauden mit breit-aufrechter bis flach-ausgebreiteter Wuchsform. Der funktionale Aspekt steht hier mehr im Vordergrund als der ästhetische, wenngleich eine auffällige Blüte, dekoratives Laub sowie Fruchtschmuck durchaus erwünscht sind. Die Arten sollten robust sein gegenüber Trittbelastung, mit einem dichten Wurzelwerk den Boden festigen und möglichst geringe Ansprüche an den Standort stellen.

Es hat sich gezeigt, dass sich die Pflanzenzusammensetzung in Abhängigkeit vom Standort und der Belastung im Laufe der Jahre ändert. Weniger trittfeste Arten wandern in die Randbereiche ab, konkurrenzschwache Arten fallen aus und neue Arten wandern dafür ein. Solange nicht eine Art den Bestand dominiert oder Kahlstellen auftreten, die saniert werden müssen, sind diese Veränderungen kein Problem, sondern ein Zeichen für die nach der Pflanzung einsetzende Dynamik.

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